Gerd Heidemann - Die Biografie
Der nun folgende Teil seiner Biografie, wurde von Gerd Heidemann persönlich verfasst. Die Erstveröffentlichung erfolgt hier auf der Homepage. Der Text ist urheberrechtlich geschützt, jegliche Veröffentlichung (auch auszugsweise) bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Autoren!
Teil 1:
Geboren bin ich am 4.Dezember 1931 in Altona. Damals war Altona eine preußische Stadt vor den Toren der Freien und Handelsstadt Hamburg. Der spätere Ministerpräsident Preußens, Hermann Göring, gab 1937 Altona und andere Gemeinden am Rande Hamburgs an die Hansestadt ab, so dass Groß-Hamburg entstehen konnte.
Mit Hermann Göring, den Adolf Hitler 1940 zum Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches ernannte, sollte ich später noch genug zu tun bekommen. Und auch Adolf Hitler sollte mein Leben radikal verändern, obwohl er, als mir das größte Missgeschick meines Lebens passierte, längst verstorben war.
1931 war davon aber noch keine Rede. Meine Mutter war Ende der 20ziger Jahre mit ihren Eltern von Köthen/Anhalt nach Hamburg gezogen. Ihr Vater, mein Großvater, fuhr zur See. Und da die deutschen Frachtdampfer immer den Hamburger Hafen anliefen, suchte sich die Familie eine Wohnung in der Hafenstadt.
Meine Mutter verliebte sich als 21jährige junge Frau in den 19jährigen Sohn eines Direktors von ESSO, wurde schwanger und das Ergebnis dieser Liebe war ich. Als die Eltern des jungen Mannes davon erfuhren, übernahmen sie zwar anstandslos die Alimenten-Zahlungen, schickten ihren Sohn aber sofort zur weiteren Ausbildung als Kaufmann nach Königsberg. Er sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, so jung und unter seinem Stand zu heiraten.
Denn meine Mutter arbeitete damals in einer Hamburger Zigarettenfabrik und ihre Verwandten in Köthen/Anhalt waren arme Tagelöhner. Ich bin heute noch heilfroh, dass meine Mutter einige Jahre später einen anderen Mann kennenlernte und heiratete. Er fuhr ebenfalls zur See und war gleich bei seiner ersten Reise mit dem Passagierschiff „Monte Cervantes“ an der argentinischen Küste gestrandet. Es wurden zwar die gesamte Besatzungsmitglieder und die Passagiere gerettet, aber der deutsche Kapitän blieb an Bord und ging mit seinem Schiff unter. Für einen Kapitän war das damals noch Ehrensache.
Mein Stiefvater Rolf Heidemann adoptierte mich, und so bekam ich noch vor meiner Einschulung den Nachnamen „Heidemann“. Zu meinem Glück, denn meine Mutter hieß mit Mädchennamen Martha Eiternick. Deshalb wurde mein Großvater auf seinem Schiff nur „Eierknick“ genannt. Auf die Idee, mich so zu nennen, wären meine Mitschüler sicher auch bald gekommen, zumal sie mich wegen meiner abstehenden Ohren ständig hänselten.
Allerdings hätte ich mir diesen Spitznamen als kleiner Junge beinahe schmerzhaft selber verdient. Damals lebte man wochentags in der Küche. Das Wohnzimmer wurde eigentlich nur sonntags benutzt. Neben dem Küchenherd stand in unserer kleinen Wohnküche ein Sofa, auf dem ich herumturnte. Irgendwie muss ich beim Herumhopsen auf der heißen Herdplatte gelandet sein und meinen kleinen Allerwertesten höllisch verbrannt haben. Dabei waren natürlich auch die kleinen Klunkerln in Gefahr, in Brateier verwandelt zu werden. Aber Gott sei Dank riss mich meine Mutter noch rechtzeitig von der glühend-heißen Herdplatte weg, so dass nur Hautfetzen meines kleinen Hinterteils kleben blieben.
Das war also das erste heiße Abenteuer, das ich ohne bleibenden Schaden überleben durfte. Mit meiner Gesundheit stand es in den ersten Jahren meiner Kindheit auch nicht zum Besten. Mein Großvater starb an Tuberkulose. Er hatte so oft mit mir herumgeherzt, dass er mich angesteckt hatte. Ich wurde ein halbes Jahr in eine Lungenheilstätte in den Harz geschickt. Es war die schlimmste Zeit meines jungen Lebens. Immer wieder schmiedete ich Fluchtpläne und ließ sie wieder fallen Das Essen dort war furchtbar. Wenn es wirklich einmal Fleisch gab, war es fast verkohlt und knochentrocken.
Ich war natürlich sehr froh, als man einige Jahre später meinen Eltern erklärte, dass die Tuberkulose besiegt und ich geheilt sei. Allerdings litt ich weiter an Unterernährung, weil ich einfach nichts essen wollte. Neben dem Teller meiner Mutter lag stets ein Holzlöffel, mit dem sie mir immer wieder drohen und oft genug leichte Schläge versetzten musste, damit ich überhaupt etwas aß. Damals war man noch nicht so zimperlich wie heute. Wenn man nicht gehorchte, gab es zu Hause und auch in der Schule Prügel. Geschadet haben sie mir nicht. Nur wenn es süßsaure Linsensuppe gab, konnte der Holzlöffel in der Schublade des Küchenschrankes bleiben. Linsensuppe war mein Leibgericht. Dafür ekelte ich mich vor dem damals für Kinder obligatorischen Lebertran. Den fand ich im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen und würgte ich mir nur mit zugekniffener Nase herunter.
An die Schulzeit kann und will ich mich kaum noch erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich zwar in fast allen Fächern gute Noten bekam, nur die Note für „Fleiß“ lautete in der sogenannten „Mittelschule“, in die ich nach der 4.Klasse kam, „Ausreichend“.
Das verstand meine Mutter nicht. Sie sprach die Lehrerin darauf an. „Diese Note habe ich ihm gegeben“, antwortete die Gestrenge, „weil Ihr Sohn ziemlich faul ist. Wenn er sich nur etwas mehr anstrengen würde, könnte er lauter Einsen haben.“
Diesen Ehrgeiz hatte ich nicht. Die Schulbücher lies ich meistens ungelesen liegen und schmökerte lieber in den Heft-Reihen „Rolf Torrings Abenteuer“ und las mit Begeisterung jedes Karl-May-Buch durch, das ich in die Hände bekam. Die abenteuerlichen Reisen Kara Ben Nemsis mit seinem arabischen Diener Hadschi Halef Omar, Ben Hadschi Abul Abbas, Ibn Hadschi Dahwud al Gossarah faszinierten mich. Noch heute kann ich den langen Namen des kleinen tapferen Arabers Halef Omar auswendig aufsagen, so sehr beeindruckte er mich.
Damals ahnte ich natürlich nicht, dass all diese phantastischen abenteuerlichen Erlebnisse auf ihren angeblichen Reisen reine Erfindungen der jeweiligen Autoren waren, ich aber später in Wirklichkeit noch spannendere Geschichten erleben würde.
Als ich zehn Jahre alt wurde, durfte ich stolz die Uniform eines Pimpfes anziehen. Das hatte den Vorteil, dass mich, wenn ich die Uniform trug, keine stärkeren Burschen mehr schlagen durften. Denn die lauerten manchmal auf einzelne Knaben aus der Nachbarschaft und fielen zu mehreren über einen her. Zu der Zeit war ich ein kleiner Feigling und hatte oft Angst, von solchen Schlägern verprügelt zu werden, zumal mir einer einmal mit dem Säbel seines Vaters aus dem Ersten Weltkrieg einen Hieb über den Schädel versetzt hatte, so dass ich blutüberströmt zu meiner entsetzten Mutter lief. Diese beschwerte sich natürlich bei den Eltern des unfairen Täters, und ich behielt eine kleine Narbe auf dem Kopf nach. Deshalb war ich anfangs gern ein kleiner Pimpf in Uniform.
Zur Hitler-Jugend kam man ja erst, wenn man vierzehn Jahre alt geworden war. Irgendwie gefiel mir aber bald der rüde Ton meiner Vorgesetzten nicht mehr, und ich schwänzte immer mehr den Dienst. Bei meinen Freunde beklagte ich mich: „Wenn das der Führer wüsste, was die mit uns anstellen!“ Wenn den Menschen im Dritten Reich etwas nicht passte, schimpften sie: „Wenn das der Führer wüsste!“ Natürlich wusste der durch die täglichen ungeschminkten Berichte seines Sicherheitsdienstes fast alles. Aber das wusste das normale Volk damals nicht.
Wie mein Vater zum Nationalsozialismus stand, weiß ich nicht. Über Politik wurde zu Hause kaum gesprochen. Er erzählte mir später einmal, als er in die Partei eintreten wollte, sei gerade Aufnahmesperre gewesen.
Meine zweite Narbe, diesmal am rechten Schienbein, verdankte ich dem Schlachtschiff „Bismarck“. Nicht, dass es das Feuer auf mich eröffnet hätte, diese Ehre kann ich leider nicht beanspruchen. Diese Ehre kommt dem britischen Schlachtschiff „Hood“ zu, das aber nach einer Salve der „Bismarck“ mit seinen ... Besatzungsmitgliedern in den Fluten versank.
Meine Mutter wollte unbedingt den Stapellauf dieses damals größten deutschen Kriegsschiffes sehen und nahm mich mit auf eine Anhöhe gegenüber der Werft „Blohm und Voß“. Tausende von Neugierigen drängten sich hier, um den besten Blick auf das Ereignis zu erhaschen. Ich war auf die Lehne einer Parkbank gestiegen und versuchte mühsam, mein Gleichgewicht zu halten. Eine Weile gelang mir das, doch drängten die Menschen gegen die Bank, die zu wackeln begann. Ich konnte mich nicht länger oben halten, rutschte ab und landete in einem Stacheldrahtzaun, der durch Blätter der Buschumrandung kaum zu sehen war. Ein Dorn zog quer durch mein rechtes Schienbein eine tiefe Furche, die natürlich sofort stark zu bluten begann. „Es tut gar nicht weh“, beteuerte ich gegenüber meiner Mutter, die sich besorgt über mich beugte, „lass uns bloß hierbleiben, gleich ist es so weit und die „Bismarck“ läuft vom Stapel!“ Natürlich tat es höllisch weh, aber das wollte ich nicht zugeben. Ich biss ich die Zähne zusammen und sah den enorm großen stählernen Rumpf ins Wasser der Elbe gleiten.
Als der Krieg begann und die ersten Luftangriffe auf Hamburg erfolgten, stiegen wir Jungens auf die Dächer unserer Wohnblocks und sammelten die Bomben- und Flaksplitter. Damit begann ein reger Tauschhandel in der Schule. Für einige besonders große Bombensplitter, die ich gefunden hatte, bekam ich im Tausch sogar einen uralten amerikanischen Colt. Ich glaube, es war einer der ersten Colts, die überhaupt für den Wilden Westen produziert wurden. Er wäre heute ein wertvolles Sammlerstück, aber leider verlor ich ihn, als unser Wohnhaus und damit auch unsere Wohnung ein Opfer der Flammen wurde.
So verloren meine Eltern zwar durch Bombenangriff ihre Wohnung und den gesamten Besitz, kamen aber wenigstens mit dem Leben davon. Ich war zu der Zeit nicht in Hamburg, sondern bei Pflegeeltern in Bayern. Wie viele Kinder aus den bombardierten Großstädten, wurde auch ich von der sogenannten „KLV“, der Kinderlandverschickung, zuerst zu Pflegeeltern nach Langenzersdorf bei Wien und später nach Schwandorf in Bayern verschickt. So musste ich die schlimmsten Bombenangriffe nicht miterleben.
Mein Stiefvater, der wie mein Großvater ebenfalls zur See gefahren war, hatte sich noch vor Ausbruch des Krieges bei der Hamburger Wasserschutzpolizei beworben. Als Wasserschutzpolizist wurde er nach Beginn des Russland-Feldzuges am Asowschen Meer eingesetzt. Zum Glück kehrte er rechtzeitig in die Heimat zurück und konnte sofort nach dem Krieg als Wasserschutzpolizist im Hamburger Hafen weiterarbeiten.
Gegen Ende des Krieges wurde ich mit meiner Mutter, meiner Großmutter und mittlerweile zwei Brüdern und einer Schwester nach Dorfmark evakuiert. Dieses Dorf lag etwa 100 km südlich von Hamburg entfernt. Dort bezogen wir ein kleines hölzernes Behelfsheim. Das Städtchen Fallingbostel, das damals noch nicht das Privileg genoss, sich Bad Fallingbostel nennen zu dürfen, lag 6 Kilometer entfernt. Dort besuchte ich die Mittelschule. Jeden Tag musste ich die Strecke mit dem Personenzug hin- und zurück fahren. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn nicht die alliierten Jagdflugzeuge den Himmel beherrscht hätten und auf jedes bewegliche Ziel, sogar auf einzelne Radfahrer, feuerten. Besonders hatten sie es auf den Zugverkehr abgesehen. So erlebte ich mehrmals, dass der Zug plötzlich stoppte und alle Reisenden herausspringen und im nächsten Graben oder in Gebüschen Schutz vor solchen Angriffen suchen mussten. Sobald das Jagdflugzeug am Horizont verschwand, setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Zum Glück habe ich nicht erlebt, dass während meiner Fahrt zur Schule Menschen verletzt wurden.
Eines Tages ließ sich eine Einheit der Waffen-SS für einige Tage am Rand des Dorfes nieder. Ich freundete mich mit einigen Soldaten aus der Waffenkammer an und durfte in einem Steinbruch die reparierten Maschinengewehre wieder einschießen. Ich war erstaunt, wie nett die jungen Soldaten, die zwischen 17 und 19 Jahre alt waren, zu mir 13jährigen waren. Bevor sie abrückten, überließen sie mir sogar ein MG 42. Ich beschäftigte mich natürlich stundenlang mit dieser berühmten Waffe, nahm sie immer wieder auseinander, baute sie wieder zusammen, bis ich es sogar im Schlaf konnte. Als sich die Front näherte, wickelte ich das für mich kostbare Stück in Ölpapier und vergrub sie in einem nahen Waldstück. Ich merkte mir die in der Nähe stehenden kleinen Kiefern, um die Waffe jederzeit wiederfinden zu können. Nur hatte ich nicht bedacht, dass Bäume wachsen können. Als ich zehn Jahre später an der Stelle stand, die ich für die richtige hielt, hatte sich alles total verändert. Die Bäume erkannte ich nicht mehr, sie waren nicht nur gewachsen, es waren auch neue dazugekommen. Ich konnte einfach die genaue Stelle, wo ich die Waffe vergraben hatte, nicht wiederfinden.
Kurz bevor die britischen Truppen im April 1945 das Dorf einnahmen, begann ihre Artillerie das Dorf zu beschießen. Von deutschen Soldaten war zu dieser Zeit nichts mehr zu sehen. Kurz zuvor hatten sie noch die einzige Brücke im Dorf gesprengt, danach waren sie in Richtung Soltau abgezogen. Es gab nun die ersten Toten und Verletzten unter den Dorfbewohnern. Ich hielt mich in dieser Zeit mit meiner Mutter, Großmutter und den Geschwistern in einem Tiefbunker zwischen den Behelfsheimen auf. Irgendwann hielt es meine Großmutter in dem Erdbunker nicht mehr aus und wollte an die frische Luft. Ich schloss mich ihr an. Kaum waren wir draußen, sahen wir englische Soldaten auf uns zukommen, die Maschinenpistolen im Anschlag. Sie winkten uns nur kurz zu und liefen weiter. Mehr bekam ich von der Einnahme des Dorfes durch die britische Armee nicht mit.
Am nächsten Tag wurde die Bevölkerung aufgefordert, alle Waffen abzuliefern. Außer dem MG 42 hatte ich mir auch den Karabiner 98 K besorgt. Den hatte ich nicht vergraben, sondern in unserem Garten versteckt. Ich holte ihn aus dem Versteck, schulterte ihn um und wollte damit zur britischen Kommandantur marschieren. Ich kam aber nur etwa hundert Meter weit zu einer Gruppe englischer Soldaten. Die nahmen mir grinsend den Karabiner von der Schulter und zerschlugen ihn an einer Mauer, so dass der hölzerne Kolben abbrach.
Nun war ich waffenlos, aber nicht lange. In einem nahen Waldstück stieß ich mit meinen gleichaltrigen Freunden auf ein unbewachtes britisches Artillerie-Depot. Wir schleppten die Granaten weiter in den Wald hinein und legten dort ein eigenes Depot an. Was nun geschah, war ziemlich leichtsinnig. Man konnte eine Granate ganz leicht von der Messinghülse abziehen, wenn man sie an der Spitze umklammerte und das Ende der Hülse mehrmals gegen einen Baum schlug, so dass sich das Messing am Ende der Hülse ausbeulte. Im Innern der Hülse waren in dünnen Leinensäckchen grüne Pulverstangen, die man herausnehmen konnte.
Vom Zünder aus gab es ein mit vielen kleinen Löchern versehenes und mit Schwarzpulver gefülltes Messingrohr, das man leicht herausdrehen konnte. Das leicht entzündbare Schwarzpulver schütteten wir in einen Eimer, der sich bald bis an den Rand füllte. Die etwa 20 cm langen grünlichen Pulverstangen brannten im Freien langsam zischend ab, wenn man sie anzündete. Also beschlossen wir, sie als Zündschnüre zu benutzen. Nun brauchten wir nur noch Behälter, um kleine Sprengkörper basteln zu können. Wir sammelten die Aluminiumhülsen von abgeschossener Signalmunition ein, die überall auf den Straßen herumlagen, bohrten in das weiche Aluminium unten ein kleines Loch für die Pulverstangen, füllten die Hülse mit Schwarzpulver und drückten mit einer Zange die Hülse oben zu. Bei den ersten Sprengversuchen, die einwandfrei klappten, mussten einige Pfähle auf den Viehweiden dran glauben. Wir hatten die mit Schwarzpulver gefüllten Leuchtspurhülsen am Fuß der Pfähle ins Erdreich gesteckt. Bei der Explosion riss es die Pfähle samt Stacheldraht in die Höhe. Uns durfte nur kein Bauer dabei erwischen. Aber zu unserem Glück waren die meisten Bauern noch irgendwo an der Front, und die sogenannten Fremdarbeiter, meistens kriegsgefangene Franzosen, die den Bauersfrauen bei der Bewirtschaftung der Höfe und manchmal auch weitergehend geholfen hatten, waren inzwischen auf dem Weg nach Hause.
Jetzt waren wir bereit, den Kampf mit der britischen Armee aufzunehmen. Wir waren zwar nur drei Burschen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren, fühlten uns aber gut gerüstet.
Zuerst musste aber für unsere Geheimorganisation ein entsprechender Name gefunden werden. Mein Vorschlag, unsere kleine Geheimarmee „Die schwarze Hand“ zu nennen, fand allgemeine Zustimmung. Es sollten durch uns zwar keine feindlichen Soldaten zu Schaden kommen, aber wir wollte die Nachrichtenverbindung unserer Feinde empfindlich treffen.
In einem Graben unweit unserer Behelfsheime sahen wir starke Kabelstränge liegen, die von englischen Soldaten gelegt worden waren. Angeblich waren es Telefonkabel zum kleinen Dorf Riepe, in dem eine höhere Kommandostelle der britischen Armee lag. Als es dunkel wurde, brachten wir unter den
Kabelstrang mehrere unserer Aluminium-Sprengkörper an.
Während sich meine Freunde davonschlichen, zündete ich die aus dem Zündloch herausragenden Pulverstangen an und lief davon. Ich war kaum zehn Meter weit gekommen, als die selbst gebastelten Bömbchen explodierten. Wie groß die Wirkung war, wussten wir natürlich an diesem Abend noch nicht. Wir hatten uns alle schnell zu Muttern nach Hause verzogen. Zu meiner Mutter sagte ich scheinheilig: „Hast Du das gehört? Die Tommies knallen da schon wieder herum.“ „Ja, lass sie doch“, meinte meine Mutter. „Aber sie sind manchmal doch sehr nett. Heute wollte mir ein Pole mein Fahrrad wegnehmen. Ein englischer Soldat sah das, kam sofort angelaufen und jagte den Polen davon.“
Die inzwischen freigelassenen polnischen Zwangsarbeiter, die vorher in einigen Lagerbaracken unweit unserer Behelfsheime untergebracht waren, konnten natürlich im April 1945 noch nicht in ihre Heimat zurückkehren. Später, als Polen unter kommunistische Herrschaft geriet, blieben die meisten von ihnen lieber im Westen. Jetzt aber wurden sie langsam zur Plage. Umherstreifende überfielen in Gruppen alleinstehende Bauerngehöfte, raubten alles, was sie gebrauchen konnten und vergewaltigten die Bauersfrauen und deren Töchter, auch wenn diese knapp über zwölf Jahre alt waren. Eines dieser vergewaltigten Mädchen war eine Schülerin in meiner Klasse, und so erfuhr ich davon. Die britischen Soldaten dagegen behandelten die Zivilbevölkerung korrekt und waren besonders nett zu den deutschen Kindern.
Deshalb beschloss ich bereits am nächsten Tag, unsere Geheimorganisation wieder aufzulösen und die „Schwarze Hand“ zu beerdigen. Denn ich hatte am Morgen von weitem gesehen, dass englische Soldaten sich am Ort unserer gestrigen Sprengung zu schaffen machten. Als sich die Soldaten verzogen hatten, stellte ich fest, dass alle Kabel wieder repariert worden waren. Was sollte also dieser Unsinn? Den Krieg konnten wir drei Halbstarken ohnehin nicht mehr gewinnen, er war verloren. Jetzt hieß es, sich mit den Gegebenheiten abzufinden und das Beste daraus zu machen.
Den sechs Kilometer weiten Schulweg von Dorfmark nach Fallingbostel konnte ich nun täglich in britischen Militärfahrzeugen zurücklegen. Die Tommies stoppten meistens, wenn man am Straßenrand stand und ihnen ein entsprechendes Handzeichen gab. Und da auf der Landstraße ständig Militärfahrzeuge in alle Richtungen fuhren, brauchte man nie lange zu warten, bis man mitgenommen wurde. Oft schenkten sie einem auch noch ein Stück Schokolade oder ein Päckchen Kaugummi.
Fast alle Soldaten waren starke Raucher. Kaum bis zur Hälfte geraucht, flogen die Kippen in hohem Bogen auf die Erde. Besonders dort, wo das englische Militär größere Depots oder Parkplätze eingerichtet hatte, war der Boden mit Kippen bedeckt. Nun hatte ich eine bessere Idee, als Widerstand gegen die Besatzungsmacht zu leisten. Ich begann mit dem Einsammeln aller Kippen, holte darauf zu Hause den Tabak heraus, tauschte diesen handvollweise bei der Nachbarin, die einige Hühner durchfütterte, gegen Eier. Mit diesen Eiern ging ich zu den englischen Soldaten. Wie alle Männer, waren sie scharf auf Eier. Wahrscheinlich bekamen sie davon zu wenige in ihrer Kantine. Für zehn Eier bekam ich eine Schachtel „Lucky Strike“ oder eine andere englische Zigarettenmarke. Die Zigaretten tauschte ich bei unserer Nachbarin, die nun zur Kettenraucherin wurde, pro Stück für ein Ei ein. Diese Eier aßen wir nun zum Teil selber, oder ich tauschte sie bei den Tommies wieder für Zigaretten ein. Nach und nach sprach sich bei den anderen Nachbarn herum, dass ich gute englische Zigaretten besaß und ich konnte sie für 6 Mark pro Stück verkaufen. Ich war sozusagen zum Geschäftsmann, man kann auch sagen, zum Kriegsgewinnler geworden. Leider ist mir dieser Geschäftssinn später wieder abhanden gekommen, meistens habe ich draufzahlen müssen.
Ich weiß auch nicht mehr, wie lange mein Eier-Zigaretten-Geschäft so blendend lief. Wahrscheinlich hatte ich irgendwann keine Lust mehr. Jedenfalls fing ich an, Aquarelle zu malen und kleine Gedichtchen zu schreiben. Meine Gedanken kreisten oft um meine Heimatstadt Hamburg. Ihr widmete ich auch ein kleines Gedicht:
Einst stand da eine stolze Stadt,
jetzt liegt sie da, so trüb’ und matt.
Einst standen Häuser, groß und schön,
jetzt kann man nur noch Trümmer seh’n.
Doch bald da kommt die Zeit heran,
wo wir Dir helfen, Mann für Mann.
Und so wie einst wirst Du dann stehen,
als stolze Stadt werden wir Dich wiedersehen.
Vom Kriegsende bekam man auf dem Lande kaum etwas mit.
Nur sah man auf der Landstraße endlose Kolonnen von deutschen Flüchtlingen aus den Ostgebieten, die zum Teil in Handkarren ihre wenigen geretteten Sachen oder ihre Kleinkinder transportierten. Diese armen Menschen waren froh, wenn sie endlich irgendwo von Einheimischen aufgenommen wurden.
Die Gesamtfläche unseres Behelfsheimes umfasste insgesamt 18 Quadratmeter, aufgeteilt in drei Räume. Hier lebten wir vier Kinder mit unserer Oma und Mutter. Es war also wirklich kein Platz mehr, um noch eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen zu können.
Hin und wieder kam mein Vater auf dem Fahrrad aus Hamburg zu Besuch. Er versah im Hamburger Hafen seinen Dienst als Wasserschutzpolizist.
Ich bewunderte seine Ausdauer, denn schließlich musste er 92 Kilometer zu uns und 92 Kilometer zurück nach Hamburg radeln.
Am 4. Dezember 1945 wurde ich 14 Jahre alt. Jetzt wäre ich reif genug gewesen, um in die Hitler-Jugend eintreten zu können. Aber diese Zeit war ja nun Gott sei Dank vorbei.
Statt ein sogenannter „Hitler-Junge“ zu werden, wurde ich der ehrenwerte Lord Chamberlain, der Kammerherr der britischen Königin Victoria.
Das kam so: Unsere Schule sollte in einem englischen Theaterstück, das zu Ehren des britischen Stadtkommandanten aufgeführt werden sollte, die Rollen der Darsteller besetzen. Ich wurde vom Regisseur ausgewählt, den Kammerherrn der britischen Königin zu spielen. Mein kurzer Auftritt vor der Queen und die zwei Sätze, die ich auf Englisch zu sprechen hatte, sind mir heute noch in guter Erinnerung: „I have somthing to tell Your Majestie! Wat was it? - Oh yes - there is an old Lady and she want to speak you.“
Nach diesen bedeutenden Worten durfte ich mich wieder zurückziehen, und die gnädige Queen empfing die alte Dame, gespielt von einer vierzehnjährigen Mitschülerin, die man entsprechend zurechtgemacht hatte. Aber von nun an, nachdem ich sozusagen kurz zum englischen Adel gehörte , hatte ich rein gar nichts mehr gegen die Engländer. Ich war sogar froh, dass wir mit unserer Geheimorganisation nicht noch mehr Unfug getrieben hatten.
Bald darauf beschaffte uns mein Vater eine Wohnung in Hamburg, und wir konnten wieder in unsere Heimatstadt umziehen. Hier hätte ich nun eine Höhere Schule besuchen können, aber die kostete damals Schulgebühren. Und da meine Eltern nur wenig Geld zur Verfügung hatten und sich neue Möbel und Kleidung für sich und die Kinder beschaffen mussten, schlug ich großzügig vor, die letzten Jahre in der sogenannten Volksschule zu absolvieren. Dass ich sowieso keine Lust auf das Pauken in der höheren Schule hatte, weil ich stinkefaul war, behielt ich lieber für mich.
Ich las lieber in jeder freien Minute Karl-May-Bücher oder Wildwest-und Spionageromane und sah mir, soweit mein gering bemessenes Taschengeld reichte, Filme an. Im Vorspann einer amerikanischen Wochenschau sah man immer einen Kameramann auf einer sich drehenden Erdkugel. Das beeindruckte mich so sehr, dass ich Kameramann werden wollte.
Was mir im Konfirmanden-Unterricht der Pastor über das Neue Testament beizubringen versuchte, fiel damals bei mir nicht gerade auf fruchtbaren Boden. Nur der verrutschte Knöchel an meiner rechten Hand blieb mir als bleibendes Andenken an diese Episode. In der Pause hatte einer der Mitschüler Streit mit mir angefangen, und er hatte durch einen Kinnhaken meine Faust zu spüren bekommen. Allerdings spürte ich sie auch. Nach diesem gelungenen Schlag schwoll meine rechte Hand an, denn der Endknorpel meines Zeigefingers war durch den Schlag auf den Handrücken verrutscht, was noch heute zu sehen ist.
Das war mir eine Lehre. Ich habe nie wieder zugeschlagen, bin jedem handgreiflichen Streit aus dem Weg gegangen. Wenn einer Streit mit mir anfangen wollte, habe ich seine Armmuskeln abgetastet und bewundernd gesagt: „Mensch, bist Du stark, viel stärker als ich. Du hast gewonnen. Komm, ich geb’ einen aus!“ Das half immer. Meistens lachten die Schlägertypen geschmeichelt und wurden friedlich.
Meine erste abenteuerliche Grenzüberquerung erlebte ich 1948. Die Schwester meiner Mutter war mit einem Holländer verheiratet und lebte in Amsterdam. Zu dieser Zeit war es Deutschen nicht möglich, so ohne weiteres in Holland einzureisen. Also wollte es mein Onkel Willy, Bruder der Tante in Holland, ohne Visum versuchen, bis nach Amsterdam zu gelangen. Natürlich wollte ich mit. Wir fuhren von Hamburg bis kurz vor der holländischen Grenze hinter Nordhorn. Als es dunkel wurde, schlichen wir über die holländische Grenze. Als ich das erste beleuchtete Schaufenster einer Konditorei in dem ersten Ort Hollands sah, kam ich aus dem Staunen kaum noch heraus. Ich glaubte, ich wäre im Schlaraffenland, als ich all die leckeren Kuchen und Torten in der Auslage bewundern durfte. Nach einer Woche illegalen Aufenthaltes bei meiner Tante in Amsterdam, die uns mit allen uns bisher unbekannten Köstlichkeiten verwöhnte, traten wir wieder den spannenden Heimweg an. Wieder überquerten wir die holländische und deutsche Grenze, ohne geschnappt zu werden.
Beim Arbeitsamt riet man mir, zuerst eine Elektriker-Lehre anzutreten. Schließlich müsse ein Kameramann auch von Elektrik etwas verstehen. Also wurde ich Lehrling bei einem Elektriker in einem Hamburger Vorort, durfte nun täglich Plätteisen reparieren, Wände aufstemmen, um Kabel zu verlegen und hinterher alles säuberlich zugipsen. Mein Chef, der an eine Bulldogge erinnerte, ging nicht gerade zimperlich mit seinem Gesellen und mir um. Einmal machte ich den Fehler, zwei Kabelenden mit der rechten und linken Hand anzufassen. Ein starker Stromstoß schoss durch meinen Körper, ich war wie gelähmt, wurde zum Glück aber davon geschleudert und flog der Länge nach rückwärts auf den Boden der Werkstatt. Dabei riss ich die Kabel von mir ab, was wahrscheinlich mein Leben rettete oder mich zumindest vor bleibenden Schaden bewahrte.
Allzu lange hielt ich es bei dem cholerischen Elektromeister nicht aus. Bereits nach dem ersten Lehrjahr kündigte ich, besuchte einen privaten Lehrgang zum Kameramann und hatte das Glück, bei dem Hausfotografen des Nordwestdeutschen Rundfunks ein Volontariat zu bekommen. Der Fotograf Konrad Weidenbaum hatte sich auf dem Gebiet der künstlerischen Fotografie einen Namen gemacht. Wann immer er im Funkhaus an der Rothenbaumchaussee eine Sängerin, Schauspielerin oder männliche Darsteller fotografierte, machte er sich die Mühe, vorher etliche Scheinwerfer aufstellen zu lassen, um sie ins rechte Licht zu setzen.
Und dafür durfte ich die Kabel heranschleppen, verlegen und die Scheinwerfer heran rollen. Im Fotolabor lernte ich Filme zu entwickeln und Vergrößerungen seiner Aufnahmen anzufertigen. Diese Arbeit brachten mir seine beiden Assistentinnen bei, zwei hübsche junge Frauen, die mich zu ihrem Knappen ernannten. Das war zwar etwas vermessen, da sie ja keine Ritter, sondern höchstes Burgfräuleins in meinen Augen waren, doch ich spielte das Spielchen mit. Dass seit meinem Eier- und Zigarettenhandel Eier meine Lieblingsspeise geworden waren, konnte man nach einer Betriebsfeier des Nordwestdeutschen Rundfunks in der Hauszeitung lesen. Lebensmittel waren zu dieser Zeit immer noch knapp, besonders Eier waren kaum zu bekommen. Darum war ich höchst erfreut, als mir eine Dame der Hochfrequenz-Abteilung zuflüsterte, in der Kantine könne man ausnahmsweise Eier kaufen. Natürlich sauste ich sofort zur Kantine und durfte wenig später in dem Hausblatt des NWDR in Gedichtform lesen, wie es mir ergangen war:
„Sehr jung ist noch Herr Heidemann,
er hatte seine Freude dran,
als er einmal so kurz erfuhr,
daß vorn in der Kantine nur,
so an die hundert Eier wären,
um Rundfunkleute zu ernähren.
Doch als er vorne kaufen wollte,
man billig ihm ein Lächeln zollte.
Ja, ja, die Hintze, diese Böse,
die führte ihn an seiner Nese.“
Das umständliche Fotografieren, das Konrad Weidenbaum praktizierte, gefiel mir überhaupt nicht. So stellte ich mir jetzt auch die Arbeit eines Kameramanns vor. Kabel verlegen, Scheinwerfer aufbauen, bevor man filmen konnte, das war mir alles zu umständlich. Also beschloss ich, Pressefotograf zu werden. An Fotoapparaten hatte ich bisher nur eine Agfa-Box besessen und mir danach eine Agfa-Isolette gekauft. Ich musste unbedingt eine Leica kaufen. Aber wovon? Soviel Geld, wie damals eine Leica kostete, hatte ich nicht.
Aber es gab noch eine andere Lösung. Ich musste mir eine Stellung in einer Presse-Agentur besorgen, wo mir eine Leica zur Verfügung gestellt wurde. Bei der Agentur „Conti-Press“ hatte ich Glück. Ich bekam leihweise eine Leica mit einigen Austausch-Objektiven und durfte mich sofort als fester freier Mitarbeiter auf Jagd nach geeigneten Fotos für Hamburger Tageszeitungen machen. Ich erinnere mich noch, dass am ersten Tag, als ich meine Arbeit als Bildreporter begann, das Postamt in der Mönckebergstraße eröffnet wurde. Also hatte ich das zu fotografieren.
Meine erste kleine Bildreportage handelte von einem ehemaligen französischen Kriegsgefangenen. Dieser war in Hamburg von einem Kleinbauern, wo er zwangsweise den Krieg über gearbeitet hatte, so gut behandelt worden, dass er mit seiner Ehefrau den weiten Weg von Frankreich im Motorrad zurücklegte, um die nette deutsche Familie zu besuchen.
Eines Tages schickte mich der Chef der Bildagentur nach Neumünster, um dort etwas zu fotografieren. Die schleswig-holsteinische Stadt lag zwar nur 55 Kilometer von Hamburg entfernt, aber ich erinnere mich heute noch daran, welche Gedanken mich bewegten, als ich auf einer Bank vor dem Bahnhof von Neumünster saß, mich sonnte und auf den Zug nach Hamburg wartete. „Mensch“, dachte ich, „das ist ja ein toller Beruf, den du dir da ausgesucht hast. Man kommt ja ungeheuer weit rum !“
Für Conti-Press arbeitete ich fast zwei Jahre lang und machte mich anschließend selbständig.
Viele Kirchen Hamburg waren nur noch ausgebrannte Ruinen. Ich kletterte an einigen außen hoch, so weit es möglich war, und machte von dort aus Panoramafotos. Eine entsprechende Kamera gab es zu der Zeit noch nicht, also musste ich mich im Kreis drehen und dabei einzelnen Aufnahmen machen, die ich in meinem kleinen Fotolabor vergrößerte und anschließend zusammenklebte.
Während ich sonst für einzelne Fotos von den Tageszeitungen zwischen 15 und 25 Mark pro Veröffentlichung bekam, brachte mir ein solches Panaromabild sogar 150 Mark ein. Aber ich wollte mehr erreichen und möglichst bald Reportagen in der Illustrierten Stern oder einem anderen bekannten Blatt veröffentlichen.
Gerd Heidemann - Die Biografie
Teil II
Gerd Heidemann wird am 04. Dezember 1931 in der Großen Bergstraße in Altona unehelich geboren. Altona gehört damals noch nicht zu Hamburg, sondern ist preußisches Staatsgebiet. Seine Mutter Martha Eiternick ist erst 21Jahre alt. Sein Vater, Johannes Schurbohm, ist 19 Jahre alt und kaufmännischer Lehrling. Später macht er Karriere beim Mineralölkonzern ESSO.
Im Jahr 1935 heiratet seine Mutter den Seemann Rolf Heidemann. Dieser adoptiere Gerd, der fortan den Namen Gerd Heidemann trägt.
In der Schule gehört Gerd Heidemann zu den besten seiner Klasse. Und das, obwohl er seine Schularbeiten nur widerwillig macht. Stattdessen liest er lieber die Abenteuer von "Rolf Torring“, die wöchentlich in einer Heftromanreihe erscheinen. Diese Geschichten inspirieren den jungen Mann. Er will auch in ferne Länder reisen und spannende Abenteuer erleben.
1939 bricht der Zweite Weltkrieg aus. 1943 werden seine Eltern in Hamburg ausgebombt, während sich Gerd zum Glück im Rahmen der Kinderland-verschickung in Schwandorf in Bayern aufhält. Nach Rückkehr zieht er mit seinen Eltern in eine behelfsmäßige Unterkunft für Ausgebombte nach Dorfmark bei Fallingbostel.
1944 fährt seine Großmutter mit ihm in das zerbombte Hamburg. Die Eindrücke sind traumatisierend und schmerzhaft. Das geliebte Zuhause gleicht einer Kraterlandschaft und ist kaum wiederzuerkennen.
Der nun dreizehnjährige Heidemann verarbeitet seinen Schmerz in einem Gedicht:
„Einst stand da eine stolze Stadt, jetzt liegt sie da, so trüb und matt. Einst standen Häuser groß und schön, jetzt kann man nur noch Trümmer sehen. Und überall wohin man schaut, es ist vernichtet, was erbaut. Doch bald da kommt die Zeit heran, wo wir dir helfen, Mann für Mann. Und so wie einst wirst du dann stehen. Als stolze Stadt werden wir dich wiedersehen.“
Nach dem Krieg beginnt eine schwere Zeit. Geld ist knapp. Die Mittelschule soll vom Vater teuer bezahlt werden, also muss der Volksschulabschluss erst einmal reichen. Der junge Heidemann hat keine Lust mehr die Schulbank zu drücken und möchte gerne Kameramann werden. Als er beim Arbeitsamt einen Eignungstest ablegt, wird ihm geraten, er solle doch lieber Dekorateur werden.
Heidemann sucht sich 1948 erst einmal einen Job als Filmroller im Altonaer „Kinopalast“. Der Filmvorführer war vor dem 2. Weltkrieg Kameramann gewesen und gibt Heidemann den Rat, seine Zeit nicht zu verplempern und als Grundlage für den Beruf eines Kameramanns eine ordentliche Ausbildung als Elektriker zu machen.
Heidemann setzt diesen Ratschlag in die Tat um und beginnt eine Lehre als Elektriker. Der Ausbilder Heidemanns entpuppt sich als „widerlicher Kerl, der den ganzen Tag rumschnauzte“ und seinen Lehrling Heidemann und die anderen drei Lehrlinge pausenlos schikaniert. Heidemann bricht die Lehre ab und belegt einen mehrwöchigen Kurs bei den „Cineta Amateur Studios“ als Kameraassistent.
Neben seinen Kursen versuchte er nun eine Ausbildungsstelle als Pressefotograf zu bekommen. Bei der DPA in Hamburg wird ihm geraten Fotos machen und sie der Agentur gegen Honorar anzubieten. Doch die benötigte Kamera für diesen Job ist sehr teuer und der junge Heidemann kann sich diese damals nicht sofort leisten.
Doch bald darauf hat er Glück. Er wird von dem bekannten Fotografen Konrad Weidenbaum, seinerzeit im Norwestdeutschen Rundfunk (NWDR) tätig, als „Bildberichter in Ausbildung“ eingestellt. Gerd Heidemann ist in seinem Element. Er erlernt die Laborarbeit und darf Weidenbaum bei seinen Aufnahmen assistieren. Bald darauf kann er sich seine erste eigenen Kamera kaufen. Heidemann ist talentiert. Aus eigenem Antrieb macht er nun Reportagen und Berichte, die regelmäßig veröffentlicht werden.
Bekannte Zeitschriften wie die "Hörzu", die "Frau im Spiegel", die "Hamburger Morgenpost", das "Hamburger Abendblatt", der "Gong" und viele andere drucken Heidemanns Fotos Doch er fotografiert nicht nur, er verfasst auch die passenden Texte dazu. Wenn er eine Foto-Reportage fertig hat, dann setzt er sich hin und schreibt die Geschichte dazu. Als sein Aufstieg beginnt, ist er 19 Jahre alt.
Gerd Heidemann hat ein gutes Einkommen als freier Journalist. Von überall her strömen Honorare für seine exklusiven Fotos. Selbst der "Stern" veröffentlicht seine Bildreportagen. Wenig später gründet er seine eigene Presseagentur, die „Torna-Press“.
Heidemann ist kein Schreibtisch-Journalist, fremde Städte und unbekannte Länder ziehen ihn an. Mit einundzwanzig Jahren liefert er während der „Weltjugendspiele in Bukarest“ sensationelle Bilder aus dem damals „unbekannten Land Rumänien“, die um die Welt gehen.
Er ist stets einfallsreich und innovativ. Einmal verkleidet er sich bei einer Militärabsperrung als Hausfrau, mit Kopftuch und Schürze getarnt, und postiert hinter sich einen Kameramann, der so 1950 die Verladung der "Berliner Freiheitsglocke" (gegossen in England, gestiftet von dem US-„Komitee für ein freies Europa“) filmen und fotografieren konnte. 1952 robbt er während eines Bandenkrieges in Sardinien mit italienischen Carabinieri durch die Berge, setzt sich dann von ihnen ab, um hautnah ins Gespräch mit den Banditen zu kommen.
Heidemanns Sardinien-Abenteuer wird im "Stern", in der "Bild", im "Hamburger Anzeiger" und im "Hamburger Echo" gedruckt (Titel: „Ich lebte drei Tage unter Banditen“). In der italienischen Epoca wird die Story noch Jahre später gedruckt. Gerd Heidemann macht eine steile journalistische Karriere.
1955 ist er bereits ein bekannter Reporter. Bis dahin ist er allerdings noch freier Mitarbeiter ohne Festanstellung. Dann ist es endlich so weit: In seinem Tagebuch verzeichnet er im August 1955: „Nun habe ich es endlich geschafft. Stern-Reporter!“ Für Gerd Heidemann, der erste feste Job.
Innerhalb weniger Wochen avanciert er zum heimlichen Liebling des „Stern“-Gründers Henri Nannen. 1956 wird er von Nannen mit der damaligen Miss Europa Margit Nünke auf eine Reise quer durch Deutschland geschickt und darf für diesen Einsatz sogar das 300er Daimler-Cabrio des Stern-Gründers fahren. Mit der Schönheitskönigin und dem teuren Auto des Chefredakteurs reist Heidemann tagelang durch Deutschland. Sein Auftrag lautet, den Staubgehalt der Luft in den einzelnen Städten auf Schadstoffe zu prüfen. Zu diesem Zweck trägt Marit Nünke einen hellen Staubmantel, der nach jedem Städtebesuch zu Untersuchung in ein entsprechendes Labor gegeben wird.
In den 60ern macht er für eine große Stern-Serie eine Exklusiv-Reportage über die „Stars und Sternchen“ der Bundesrepublik. Durch seine einnehmende Art entlockt er seinen Gesprächspartnern die intimsten Geheimnisse. Die Stars der Bundesrepublik plaudern aus dem Nähkästchen. Millionen Stern-Leser gewinnen so intimste Einblicke in die Skandale, Pleiten, Intrigen und das Leben der schillernden Persönlichkeiten.
Im August 1962 wird Gerd Heidemann von Nannen zu sich gerufen. Nannen fragt: „Kennen Sie Traven?“ Dieser antwortet: „Ich weiß nur, dass man diesen geheimnisvollen Schriftsteller, der unter dem Pseudonym „B.Traven“ seine Bücher veröffentlicht, nicht kennt“ Nannen: „Finden Sie ihn!“. Durch seine Romane „Das Totenschiff“, „Der Schatz der Sierra Madre“ und viele andere wurde B. Traven weltberühmt und galt als der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller seit Karl May. Doch alles, was man von im weiß, ist sein Pseudonym und die Nummer seines Postfachs in Tampico. Vierzig Jahre hielt er sich in Mexiko versteckt. „Das packende Duell zweier Abenteurer“ begann: Gerd Heidemann auf der Suche nach B. Traven.
Über vier Jahre recherchiert Heidemann neben seinen anderen Arbeiten für den Stern an diesem Thema. Henri Nannen hat längst vergessen, dass er Heidemann diesen Auftrag einmal erteilt hatte. Doch der Spürhund des Stern lässt nicht locker, hat sich festgebissen. Aus eigener Tasche finanziert Heidemann weitere Recherchen. B. Traven wird für ihn zum beherrschenden Thema. 70 000 Kilometer rund um die Erde, verfolgt er die Spuren des mysteriösen Schriftstellers B. Traven, stellt 90 Ordner Material über ihn zusammen, opfert Urlaube und freie Minuten. Im Dezember 1966 dann der Erfolg: Heidemann hat B. Traven in Mexiko aufgespürt, steht im leibhaftig gegenüber und wird von ihm zu einem Abendessen in ein vornehmes Restaurant eingeladen..
Zu diesem Zeitpunkt weiß B. Traven noch nicht, dass er einem Sternreporter gegenübersitzt, denn Heidemann gibt sich als archäologischer Helfer (Fotograf eines Archäologen) aus. Im Mai 1967 dann die Sensationsreportage im „Stern“ „Wer ist der Mann, der Traven heißt?“. Schon zwei Jahre später stirbt der geheimnisvolle Schriftsteller in Mexiko-Stadt mit sechsundachtzig Jahren und wird eingeäschert. Seine Asche wird vom Flugzeug aus über den mexikanischen Bundesstaat Chiapas verstreut. Wenn Heidemann ihn nicht gefunden hätte, hätte ihn vielleicht überhaupt keiner mehr lebend gefunden.
Im September1964 schickt Henri Nannen seinen „Spezial-Soldaten“ Heidemann in den Kongo. Im Kongo ist die Hölle los. Die von Belgien unterstützte Regierung währt sich gegen Tausende von schwer bewaffneten Rebellen, es herrscht Bürgerkrieg, Weiße und Schwarze metzeln sich gegenseitig nieder. UN-Truppen haben sich bereits zurückgezogen und im Land kämpfen Söldnertruppen. Mitten in diesem kongolesischen „Schlachtfest“, Gerd Heidemann und dreißig weiße Söldner, das „Kommando 52“. Auf dem schwarzen Kontinent sieht die Welt damals anders aus als in Europa. 1964 ist im Kongo ein Menschenleben keinen Pfifferling mehr wert. Heidemann sieht hier die ersten Opfer dieses blutigen Konfliktes. Auf den Straßen liegen von Ameisen zerfressene Leichen. Zudem machen einem die Moskitos das Leben schwer. Heidemann begleitet für den Stern einen Trupp weißer Söldner, das „Kommando 52“. Ihr Anführer ist ein gewisser er", ehemaliger Hauptmann der Wehrmacht und Eisernes-Kreuz-Träger, der dort im Auftrag Moise Tschombés den Aufstand der so genannten Simbas im Osten des Kongo niederschlagen soll.
Heidemann gelingt eine sensationelle Reportage über den blutigen Söldnerkrieg im Kongo. Nach seiner Rückkehr, die große Kongo-Story im Stern Seine sensationellen Bilder gehen um die Welt und Hauptmann Siegfried Müller wird weltbekannt als „Kongo-Müller“.
Kurz darauf folgt eine internationale Auszeichnung: 1965 erhält Heidemann bei der „World Press Photo 65“ in Den Haag für seine Fotos aus dem Kongo für die beste Bildreportage des Jahres den 1. Preis und die Goldmedaille.
Im September 1970 reist Gerd Heidemann mit seinem Kollegen Randolph Braumann für den Stern nach Amman in Jordanien. 3 Flugzeuge mit Hunderten Passagieren an Bord befinden sich in der Gewalt palästinensischer Fanatiker. Die Geiseln werden in die jordanische Hauptstadt gebracht und die Maschinen in die Luft gejagt. Einige Tage später lässt König Hussein seine Armee in die Hauptstadt Amman einmarschieren und gegen die Palästinenser vorrücken. Ein blutiger Häuserkampf beginnt, der als Schwarzer September in die Geschichte eingeht. Mitten in diesem Chaos zwei Stern-Reporter: Gerd Heidemann und Randolph Braumann.
Die beiden Reporter haben den Auftrag, Geiseln und Entführer zu interviewen. Sie werden durch den ausbrechenden Bürgerkrieg getrennt. Randolph Braumann wird von einem palästinensischen Anführer wegen angeblich falscher Pressemeldungen zum Tode verurteilt. Eingehende Meldungen bestätigen, dass Braumann bereits hingerichtet worden ist. In der Hamburger Stern-Redaktion liegen die Nerven blank.
Kurze Zeit später, ein neuer Hoffnungsschimmer: Der Reporter Braumann befindet sich im Hotel Philadelphia, das wegen der Nähe des Hauptquartiers der palästinensischer Entführer mit unter Beschuss der jordanischer Artillerie liegt. In dem Hotel leben mit ihm sechzehn weitere Personen, darunter Engländer und Japaner. Alle sind in dem Hotel eingeschlossen. Rausgehen ist glatter Selbstmord, in der jordanischen Hauptstadt Amman herrscht strikte Ausgangssperre. Die Telefone funktionieren nicht mehr. Die Armee hat Anweisung, auf jeden zu schießen, der die Straße betritt. In Hamburg hat der Stern-Chef Henri Nannen längst zum Rückzug geblasen. Er glaubt, dass Braumann bereits tot ist, und will nun nicht auch noch Heidemann verlieren. Doch Heidemann widersetzt sich seinem Chef zum ersten Mal, will ohne seinen Kollegen Braumann nicht wieder abreisen. In einer todesmutigen Aktion gelingt ihm das Unglaubliche. Mit Hilfe eines deutschen Studenten, der sich bis zum Ausbruch der Kämpfe bei den Palästinenser aufgehalten hatte, wird zwischen der jordanischen Armee und der palästinensischen Fatah der Schusswechsel kurz eingestellt, damit das Hotel evakuiert werden kann. Der befehlshabende Offizier im Hauptpostamt von Amman, dem letzten Außenposten vor die vor den Barrikaden und der Kampffront der Palästinenser, ist von dem deutschen Reporter, der seinen Kollegen retten will, sichtlich beeindruckt. Tatsächlich gelingt ihm das Kunststück: Randolph Braumann und sechzehn weitere Hotelgäste, können gerettet werden. Als sich Braumann und Heidemann in die Armee fallen, sagt Braumann: „Mensch, Gerd, du bist der Größte!“ In der Hamburger Stern-Redaktion knallen die Schampus-Korken. Randolph Braumann (Randolph Braumann, in seiner Stern-Ära von 1965-75 der Kriegsreporter schlechthin, eine Legende des Gewerbes. Biafra, Sudan, Israel-Ägypten, Vietnam, Laos, Kambodscha) ist unendlich dankbar, schlägt Heidemann sogar für das Bundesverdienstkreuz vor.
Anfang der 80er Jahre wird von dem damaligen Stern-Mitarbeiter, Dr. Thomas Walde, das Ressort Zeitgeschichte beim „Stern“ aufgebaut. Dr. Thomas Walde, der seinen Doktor in Politikwissenschaften unter Winfried Steffani in Hamburg macht, erregte mit seiner Arbeit an einer ungewöhnlichen Doktorarbeit über "Geheime Nachrichtendienste in der BRD" 1968 Aufsehen innerhalb der deutschen Nachrichtendienste. Der Stern spielt Geheimdienst, hört Bonn ab und deckt alte NS-Netzwerke auf.
Das Nachkriegsdeutschland der 68er war noch vom "Kalten Krieg" geprägt. Ost- und Westgeheimdienste belauerten und bekämpften sich gegenseitig. Berlin war Geheimdienst-Mekka. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und der Bundesnachrichtendienst in Westdeutschland lagen sich in den Haaren. Die Mauer trennte Ost- und Westdeutschland voneinander. Auch Anfang der 80er Jahren hatte sich an dieser Situation noch nicht viel geändert. Mitten in diesem Geheimdienstgetümmel, fängt der Stern an Geheimdienst zu spielen und hört in einer verdeckten Operation sogar Bonn ab.
Gerd Heidemann, bereits aktiv in zeitgeschichtlichen Themen involviert, kauft 1973 die ehemalige Yacht "Carin II" Hermann Görings, des Reichsmarschalls und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Er wittert ein großes Geschäft, er erwirbt die Yacht für 160 000 Mark und will diese dann, nach der Restauration, für 1,3 Millionen Mark an einen amerikanischen Interessenten weiterverkaufen. Während sich die Renovierungs-arbeiten der "Carin II" in die Länge ziehen, entwickelt sich beim Stern eine andere Idee. Auf dem Schiff sollen sich ehemalige Größen des Weltkrieges treffen. Die alten Gegner von damals im Dialog, am runden Tisch – exklusiv für den Stern. Das Projekt "Bordgespräche" wird gestartet, große Buchprojekte werden geplant. Zu den Gästen auf der Carin II gehören auch ehemalige NS-Größen. Auf der Yacht wird in intimer Atmosphäre geplaudert, die Bandgeräte – wohl nicht nur – des Stern laufen auf Hochtouren mit. Heidemann befreundet sich mit Edda Göring, der Tochter des NS-Reichsmarschalls Hermann Göring, die sein erster Gast auf der früheren Yacht ihres Vaters wird. Sie sind daraufhin über 5 Jahre miteinander liiert.
Bei Recherchen zur einer geplanten Stern-Serie über den italienischen Diktator Benito Mussolini, lernt Heidemann den ehemaligen SS-General Karl Wolff kennen, gegen Ende des Krieges als „Höchster SS- und Polizeiführer“ in Italien tätig war. Wolff ist der damals höchste noch lebende SS-General und dient Heidemann später als Türöffner bei seinen Recherchen in Südamerika. Dort sucht Heidemann nach allen geflüchteten SS-Führern, die sich kurz nach Kriegsende auf der sogenannten "Rattenlinie" nach Südamerika abgesetzt hatten.
Zusammen mit Wolff als "Reisemarschall", reist Heidemann mehrere Monate durch Südamerika, macht die NS-Kriegsverbrecher ausfindig. Vor der Reise hatte sich Heidemann vom israelischen Mossad noch die Fingerabdrücke vom Josef Mengele (Lagerarzt im KZ Auschwitz) mitgeben lassen. denn der vom israelischen Geheimdienst und international gesuchte Kriegsverbrecher, war Heidemanns Hauptziel bei seinen Südamerika. Wie sich später herausstellte war Dr. Mengele aber genau zu dem Zeitpunkt, als Wolff und Heidemann im Juni 1979 ihre Reise antraten, beim Baden in Brasilien gestorben.
Bereits 1979 stößt Heidemann auf die Spur angeblicher Hitler-Tagebücher. Verschiedene Indizien, unter anderem eine Buchveröffentlichung des ehemaligen Chefpiloten Adolf Hitlers, Generalleutnant Hans Baur, und Ermittlungsakten des amerikanischen Geheimdienstes CIC schienen zu bestätigen, was der Geschichtsschreibung bis dato widersprach: Der "Führer" schrieb Tagebuch.
Heidemann wird vom Ressortchef für Zeitgeschichte, Dr. Thomas Walde, auf den Fall angesetzt. Alles unterliegt strengster Geheimhaltung, die Geheimoperation "Grüne Gewölbe" wird innerhalb des Stern ins Leben gerufen. Die Recherchen werden unter Aufsicht der Stasi (Ministerium für Staatssicherheit), des BND und mit Wissen des Hamburger Verfassungsschutzes innerhalb der DDR durchgeführt.
Dort hinter der Berliner Mauer, im Hoheitsgebiet der DDR-Geheimdienste, soll sie runtergegangen sein, die JU 352 der Führer-Flugstaffel, die alle privaten Akten und Aufzeichnungen des „Führers“ an Bord hatte, die der Nachwelt Zeugnis von seinen Handlungen ablegen sollten. Am 21. April 1945, sechs Uhr morgens, stürzte sie im Osterzgebirge ab.
1981 auf einem Friedhof in Börnersdorf wird Heidemann fündig, er findet die Gräber der JU-Besatzung und Teile des Flugzeugwracks. Über Mittelsmänner gerät er an den Militaria-Händler, der behauptet, im Besitz der Hitler-Kladden zu sein. Heidemann glaubt sich auf einer heißen Spur.
Zeitgleich taucht plötzlich ein Informant auf, der Unglaubliches behauptet: Der gesuchte Kriegsverbrecher Martin Bormann würde noch leben. Heidemann kriegt den Auftrag, der Sache nachzugehen. Die Bormann-Recherchen kommen dem Ressortleiter Walde als Ablenkungsmanöver gelegen, sie sollen die Konkurrenz von den Recherchen nach den Hitler-Tagebüchern ablenken Man hat Angst vor der internationalen Konkurrenz, will den heißen Hitler-Stoff bis zum Schluss geheim halten. Beim Stern wird jetzt "offiziell" nach Bormann gesucht. Was Heidemann zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnt, er jagt nun zwei Gespenstern nach, recherchiert an zwei Fronten.
Im Januar 1981 trifft Heidemann auf den vermeintlichen Besitzer der Hitler-Tagebücher, den Militaria-Händler Konrad Kujau, der sich ihm als "Konrad Fischer" vorstellt. Die Verlagsleitung von Gruner & Jahr bezahlt für 62 Hitler-Kladden 9,3 Millionen DM. Das Geld wird Konrad Kujau alias "Konrad Fischer" vom „Stern“-Reporter Gerd Heidemann überreicht – leider, ohne Quittung! Hochrangige Schriftgutachter bestätigen die Echtheit der Hitler-Tagebücher: Das Bundesarchiv, Dr. Max Frei-Sulzer (Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich), das LKA-Rheinlandpfalz, der angesehene Historiker Trevor-Roper - sie alle geben Fehlgutachten ab.
Nur das Bundeskriminalamt (BKA) hält sein Gutachten bis zum Schluss zurück. Als es schon zu spät ist, kommt vom BKA die Warnung, dass bei der Prüfung unter ultraviolettem Licht einige Seiten mit Hitler-Handschrift diese eventuell chemische Papieraufheller enthalten könnten. die erst ab 1938 verwendet wurden. Es handelte sich um handschriftliche Telegrammentwürfe Hitlers an Mussolini, Franco und andere Staatsmänner. Diese Papiere hatte Heidemann Kujau privat abgekauft und sie dem Bundesarchiv geschenkt, verbunden mit der Bitte sie auch auf Echtheit prüfen zu lassen. Von diesen Papieren hatte Kujau gegenüber Heidemann behauptet, sie würden nicht aus dem Flugzeugwrack, sondern aus einer anderen Quelle in der DDR stammen. Als Heidemann bei seinem Besuch beim Bundeskriminalamt den Leiter der Technik, Dr. Werner, fragte, ob die erste Seite aus dem Hess-Sonderband, die Dr. Walde und der stellvertretende Verlagsdirektor Wilfried Sorge beim Notar hatte heraustrennen lassen, auch unter ultraviolettem Licht aufleuchten würde, sagte Dr Werner, die Seite würde nicht aufleuchten, also wäre darin die die Aufheller-Chemikalie „Blankophore“ nicht enthalten. Heidemann bat Dr. Werner, er solle doch bitte alle seine Bedenken dem Ressortleiter Dr. Walde mitteilen, denn der hätte ihn beauftragt, die Seite aus dem Hess-Band mitzubringen, damit sie für das geplante Buch über den Flug von Rudolf Hess nach England faksimiliert werden konnte. Daraufhin telefonierte Dr. Werner mit Dr.Walder, der ihm versprach, die Seite nach der Faksimilierung sofort ans BKA zurückzuschicken.
Das tat Dr. Walde am 20.April 1983, verbunden mit der Bitte, dem Stern in der Echtheitsfrage auch fernmündlich rotes oder grünes Licht zu signalisieren. Doch dieses Signal wollte Verlag und Chefredaktion nicht mehr abwarten. Bereits am Abend des 19. Aprils 1983 wurde beschlossen, im nächsten Heft mit der Veröffentlichung zu beginnen.
So wurden am 25. April 1983 die Hitler-Tagebücher vor der Weltöffentlichkeit stolz als Sensation präsentiert. Danach platzte auf einmal die Seifenblase. Nun hatten sie es alle plötzlich schon immer gewusst. Der Schuldige war schnell gefunden: Gerd Heidemann. Der Spürhund Heidemann hatte die Tagebücher in den "Stern" geschleppt, auf die Beute gehetzt hatten ihn allerdings andere. Jetzt hatte er plötzlich einen "Tick", wurde für "verrückt" erklärt. Die Anschuldiger waren wie immer die gleichen: Neider, Intriganten, Besserwisser und Schreibtischjournalisten.
Die Hitler-Tagebücher jedoch, waren der größte Schnitzer in Heidemanns schillernder Stern-Karriere. Für den Stern-Gründer Nannen ein unverzeihlicher Fehler. Am 09.Mai 1983 erstattet der Henri Nannen Anzeige gegen seinen einstigen Zögling, wegen "dringenden Betrugverdachts", weil Heidemann als Tagebuch-Beschaffer einen Allerweltsnamen, nämlich Fischer, genannt hatte, wo doch der Mann in Wirklichkeit mit Nachnamen Kujau hieß. Zu der Zeit wusste Nannen noch nicht, das Kujau jahrelang unter den Namen Fischer gelebt hatte, weil er einer Gefängnisstrafe entgehen wollte und ihn selbst seine engsten Bekannten nur unter den Namen Konrad Fischer kannten.
Am 10. Mai 1983 erhält Heidemann seine fristlose Kündigung. Gerd Heidemann wird zum Abschuss freigegeben. Er steht jetzt vor einem Scherbenhaufen, denkt über Selbstmord nach Sein Leben erlebt einen ungeheuren Einbruch.
Was war passiert? Der Militariahändler Konrad Kujau, alias "Conny Fischer", entpuppte sich als Lügenbaron und Meisterfälscher, der jahrelang unter falscher Identität lebte und mit Militariagütern handelte. Im Fälschen von Handschriften erprobt, hatte er nach langer Übung die Handschrift Hitlers angenommen und die Hitler-Tagebücher gefälscht. Er hielt sogar die Schriftgutachter zum Narren. Ein wahrer Meisterstreich.
Nach einem beispiellosen Prozess, wird Gerd Heidemann zu einer Haftstrafe von 4 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Sein Antrag auf Revision wird 1986 abgelehnt. Seine Haftstrafe verbringt Heidemann im offenen Vollzug.
Der Prozess gegen Heidemann war eine Materialschlacht und hatte es in sich. Die Staatsanwaltschaft durch das endlose Material und Berge von Akten restlos überfordert, Kujau der Meisterfälscher erdichtete ständig neue Lügengeschichten vor Gericht die Heidemann belasteten. Die Fülle an tollen Geschichten und lustigen Dokumenten nahm schließlich solche Ausmaße an, dass kaum noch einer den Durchblick hatte. Zur Krönung des Ganzen wurden Heidemann belastende Dokumente gefälscht, die dann nachweisen sollten, dass er die angeblich unterschlagenen Stern-Millionen in Südamerika investiert hatte. Nichts als eine plumpe Fälschung, wie sich später herausstellte. Mit allen Mitteln sollte versucht werden, den einstigen Glanz-Reporter zu demontieren und ihm die Millionen in die Schuhe zu schieben. Heidemann entlastende Tonbänder wurden vor Gericht als Beweismittel gar nicht erst zugelassen.
Dabei war Heidemann seit frühester Jugend ein treuer Weggefährte des Stern gewesen, bekam Sonderhonorare, war der heimliche Liebling Henri Nannens und hatte einen guten Verdienst. Kujau hingegen hatte sich sein Leben lang durch Betrügereien am Leben gehalten. Seine ganze Lebensgeschichte las sich wie ein fantastisches Märchen vom Lügenbaron Münchhausen. Mal hieß er Fischer, dann wieder Kujau, dann war er plötzlich Doktor und sogar Professor und doppelter Doktor, dann BND-Agent, großer Schriftsteller, Künstler, schließlich mimte er den Hitler und krakelte die Hitler-Tagebücher.
Mit diesem Münchhausen sollte Heidemann nun auf eine Stufe gestellt werden. Noch besser, er sollte sogar ein noch größerer Lügenbaron sein, als es der Meisterfälscher Kujau selbst gewesen ist. Das Konrad Kujau offenbar keine Lust hatte, alleine in den Bau zu gehen, und meisterhaft massenwirksame Lügen-Operetten vor Gericht vorführte, kam anscheinend niemandem in den Sinn – oder man wollte es nicht wahrhaben.
Der große Henri Nannen selbst hatte seinen Zögling wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Nannens Elite-Soldat Heidemann hatte einen gravierenden Fehler begangen, den größten Schnitzer seiner Karriere: Er hatte die gefälschten Tagebücher in den Stern geschleppt. Ein solcher Fehler war nicht nur unverzeihlich, er war das Ende einer langen Freundschaft.Heidemann war ein Spezialist und Nannen war sein General. Ein so grober Fehler, der für den Stern fast das Aus bedeutet hätte, das war für den General unverzeihlich. Für diesen Mist hatte Heidemann die alleinige Verantwortung zu tragen.
Eine Revision des Urteils wurde vom Bundesgerichtshof abgelehnt, obwohl Hamburgs bester Anwalt 18 Verfahrensfehler gefunden hatte. Wiederaufnahme des Verfahrens wäre nur möglich wenn man die Tonbandaufnahmen als neues Beweismittel zulassen würde. Selbst wenn Heidemann gewinnen würde, könnte der Staatsanwalt in Revision gehen und der Prozess würde dann noch mal neu aufgerollt. Alles würde sich über viele Jahre hinziehen, doch darauf wollte Heidemann verzichten.
2002 veröffentlichte die britische Journalistin Gitta Sereny ihre Recherchen zu dem Fall. Sie kommt zwar zu ganz neuen Ergebnissen, allerdings steht für sie auch fest, dass Heidemann nicht schuldig ist und mächtig aufs Kreuz gelegt wurde.
Gerd Heidemann wird im September 1989 aus der Haft entlassen.
Im April 1992 ist Gerd Heidemann noch einmal der Spürhund und löst einen Kriminalfall für die Hamburger Kripo. Zwei wertvolle Gegenstände sind in einer Spedition gestohlen worden, kurz bevor sie versteigert werden sollten. Eine Guillotine aus der Französischen Revolution und ein Flügel, den Hitler zum 50. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Heidemann kommt den Tätern auf die Spur, gibt sich in Zusammenarbeit mit der Kripo als potenzieller Käufer aus. In Hamburg schlägt dann das Mobile Einsatzkommando zu. Die Täter können gefasst werden. Heidemann darf die Szene fotografieren und erhält dafür eine hohe Belohnung. Morgenpost und Bildzeitung berichteten darüber. Am 16. Mai 1992 konnten die Gegenstände dann endlich versteigert werden.
Gerd Heidemann lebt bis heute zurückgezogen in Hamburg Altona. Dort trägt er emsig ein bedeutendes Archiv für Zeitgeschichte zusammen, das viele Geschichts-Studenten und Historiker besuchen, um von Heidemann Informationen über bestimmte Episoden der NS-Zeit zu erhalten. Von einer weiteren Arbeit als Journalist wollte Heidemann nichts mehr wissen, obwohl sie schon in der Zeit seiner Inhaftierung Angebote gemacht wurden. Inzwischen ist er fast 90 Jahre alt und hat viele seiner ehemaligen Kollegen überlebt.
Quellen: Gerd Heidemann, eigene Recherche, www.jungeMedien-Hamburg.de (Auszugsweise)